Mein Kindle und ich
Mein erster Kontakt mit eBooks fand vor nunmehr über zehn Jahren statt, als man mir ein Rocketbook in die Hand drückte. Bis dahin hatte ich die üblichen Vorurteile: Das Lesen auf einem wie auch immer gearteten Bildschirm ließe sich nicht mit dem Lesen eines Buches vergleichen, und die Haptik des Einbands, und der Geruch der Druckerschwärze, und so weiter. Dann las ich mich in einer Kurzgeschichte von Frederik Forsyth fest – auf einem LCD-Bildschirm! –, vergaß Zeit und Raum um mich herum und war bekehrt. Ich kaufte das Ding. Dass das eBook das gedruckte Buch ablösen würde, glaubte ich damals so wenig, wie ich es heute glaube, aber ich erwartete, dass sich das elektronische Lesen neben dem papiernen als weiteres Medium herausbilden würde. Wie es ja inzwischen auch passiert ist, wenn auch nicht so schnell, wie viele gedacht haben.
Das Rocketbook hat leider nie richtig abgehoben, was vor allem zwei Gründe hatte: Erstens gab es nie eine wirklich große Buchauswahl (das Rocketbook war nicht verbreitet genug, um als Absatzmarkt für Verlage interessant zu sein, also gab es wenige Bücher zu kaufen, was das Gerät wiederum für Leser nicht attraktiv sein ließ – und so immer im Kreis herum), zweitens schlug die Firma, die es herstellte, von da aus den falschestmöglichen Weg ein, indem sie weitere Modelle des Rocketbuchs aufwendiger und teurer machte (anstatt einfacher und billiger) und zudem die Möglichkeit abschaffte, wenigstens eigene Inhalte darauf zu laden (ich habe eine Zeitlang meine Manuskripte damit probegelesen, andere trugen umfangreiche Dokumentationen u.dgl. darauf mit sich), sodass das System kurz darauf einen leisen Tod starb.
Gänzlich unschuldig an diesem Schicksal war hingegen die Benutzeroberfläche des Rocketbooks: Tatsächlich ist die hinsichtlich Einfachheit, Selbstverständlichkeit und Komfort meines Erachtens bis heute unerreicht. Selbst der Kindle Touch kommt ihr nur nahe. (Allerdings liegt er natürlich wesentlich besser in der Hand und kann cirka 100-mal so viele Bücher speichern.)
Technische
Entwicklung: Links das
Rocketbook (ca.
2000), rechts der
Kindle Touch (2012)
Dass
ich vor ein paar Jahren vom PC zum Mac wechselte, war
das Aus für mein altes Rocketbook, da es keine
Möglichkeit gibt, es an einen modernen Mac
anzuschließen: Womit ich zugleich auch die eBooks,
die ich dafür gekauft hatte, verlor. Gut, so viele
waren das nicht, aus oben erwähnten Gründen. Trotzdem
ärgerlich. Ich habe danach das Thema eBooks und
eReader über die Jahre weiter verfolgt, als
gebranntes Kind zwar, aber dennoch habe ich immer mal
wieder die Geräte in die Hand genommen, die so auf
den Markt kamen. So richtig überzeugt hat mich
keines. Natürlich habe auch ich seinerzeit
aufgehorcht, als Amazon ankündigte, einen eigenen
Reader herauszubringen, fand den ersten Kindle dann
aber, um es milde auszudrücken, ästhetisch
enttäuschend.
So war der eReader, den ich mir schließlich kaufte,
ein Noname-Fabrikat, klein, leicht und offen, einer
Unzahl von Formaten mächtig. Es ist ein, sagen wir
mal, ziemlich „nerdiges“ Gerät: Je nachdem, ob man
ein PDF, einen RTF-File oder ein EPUB liest, haben
die Funktionstasten andere Funktionen, die
Darstellung ist Glückssache („Rand?“,
scheint sich irgendein Programmierer gesagt zu haben,
„wozu braucht man
Rand um
einen Text herum?“) und bisweilen schlicht
unbrauchbar, die verwendeten Schriften größtenteils
hässlich – kurzum, das Ding ist „interfacemäßig
herausgefordert“. Aber auch hier war mein
Haupteinsatzzweck wieder, meine eigenen Manuskripte
probezulesen, und was das anbelangte, bin ich
zurechtgekommen.
Inzwischen brachte Amazon neue Versionen des Kindle
heraus, und auf meinen Lesereisen fielen mir immer
mal wieder Leute auf, die auf so einem Ding lasen.
Wenn ich Gelegenheit hatte, ihnen über die Schulter
zu schauen, konnte ich nicht umhin, zuzugeben, dass
der Kindle nicht nur die ästhetische Kehrtwende
geschafft hat, sondern in dieser Kategorie inzwischen
sogar Maßstäbe setzt: Insbesondere das Schriftbild
erweckte meinen Neid.
Irgendwann hat es sich ergeben, dass ich mir ein
preiswertes EPUB-eBook kaufte, das ich, da DRM-frei,
auf meinem Noname-Reader lesen konnte (der kein DRM
kann). Das fand ich eine angenehme Sache und suchte
nach Möglichkeiten, das zu wiederholen. Als ich mir
anschaute, was auf der einen Seite an mir
zugänglichen EPUBs verfügbar war (fast nichts) und
was für Mengen von eBüchern Amazon auf der anderen
Seite im Angebot hatte (jede Menge), sagte ich mir,
„komm, was soll’s“, und bestellte einen Kindle Touch.
Drei Wochen, bevor er drastisch billiger wurde, aber
so geht mir das immer …
Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt, da ich es mit meinem
eigenen Kindle ausprobierte, den eingebauten
Online-Zugang zum Shop ehrlich gesagt für eine
unnötige Spielerei gehalten. Wozu?, hatte ich
gedacht. Ich kann doch mit meinem Computer
herunterladen, den Reader einstöpseln, die Dateien
rüberspielen und fertig? Das entpuppte sich als
ähnlich große Fehleinschätzung wie seinerzeit meine
Vor-Rocketbook-Haltung „auf einem Computer kann man
nicht so lesen wie in einem Buch“. Tatsächlich
entpuppte sich diese Einbindung einer der größten
Pluspunkte dieses an Pluspunkten nicht gerade armen
Geräts. Okay, wenn es einem darum geht, Geld zu
sparen, ist es nicht das Richtige. Ich bin ja jemand,
der keine Buchhandlung, die er betritt, ohne ein Buch
wieder verlassen kann – und jetzt bin ich sozusagen
ständig in der Buchhandlung, selbst wenn ich zu Hause
auf dem Sofa sitze! Ganz gefährlich.
Allerdings ist es mir, was Bücher anbelangt, noch nie
ums Geldsparen gegangen, eher ums Platzsparen: Was
das anbelangt, ist der Kindle ein Schritt in die
richtige Richtung. Ich war seit jeher ein großer Fan
von Leseproben, aber bei Gefallen einfach das Buch
dazu herunterladen und sofort loslesen zu können –
das hat was, muss ich sagen. Neben den üblichen
Vorzügen von eReadern – jedes Buch merkt sich die
Stelle, an der man beim Lesen war; auch „Krieg und
Frieden“ wiegt so gut wie nichts; man kann unterwegs
tausend Bücher dabei haben usw.
Der Kindle ersetzt gedruckte Bücher, wie gesagt,
allerdings nicht, mir zumindest nicht. Abgesehen
davon, dass es Unmengen von Büchern nicht in
digitalisierter Form gibt,
muss ich
manches einfach gedruckt und gebunden haben. Ich habe
mir inzwischen sogar schon zweimal ein Buch in
Papierform nachgekauft, obwohl ich es schon als eBook
hatte. Doch Probleme wie „was nehm ich zu lesen auf
die Reise mit?“ oder „musst Du eigentlich alle diese
Thriller aufbewahren? Die liest du ja doch nie
wieder!“ löst der Kindle hervorragend.
Das Killerfeature ist jedoch, fremdsprachige Bücher
mit dem Kindle zu lesen. Nach fast einem Jahrzehnt in
Frankreich komme ich inzwischen mit Zeitschriften und
Sachbüchern auf Französisch einigermaßen zurecht,
aber Belletristik bleibt ein hartes Pflaster. Pro
Seite muss ich so viele Wörter nachschlagen, dass der
Lesefluss einfach auf der Strecke bleibt. Nicht so
mit dem Kindle: Ich tippe einfach auf das unbekannte
Wort, und – vorausgesetzt, ich habe mir ein
entsprechende Wörterbuch zugelegt, was ich natürlich
habe – schon geht ein Fenster mit der deutschen
Entsprechung auf. Genial.
Unverständlich bleibt mir, dass die großen
Lexikonverlage (Langenscheidt, Pons usw.) hierfür
nichts anbieten. Ich habe jedenfalls nur
„selbstgestrickte“ Lexika gefunden, Notbehelfe, die
einzelne Personen in mühsamer Eigenarbeit erstellt
und in den Kindleshop eingestellt haben. Da
verschläft mal wieder jemand die Zeichen der Zeit,
oder?